neulich, auf der reise zum see
ich liebe große bahnhöfe. wenn ich von einem eine reise starte, muss ich immer mindestsens eine halbe stunde vorher da sein. dann schlendere ich durch die hallen, schaue mir die leute an: viele hasten vorbei, mit angestrengten, blassen gesichtern, den blick starr geradeaus, oder schräg nach unten. es gibt auch schlenderer; die, die auf verspätete züge warten, jemanden abholen wollen, das aufsichtspersonal. nach und nach höre ich aus dem großen geräuschfeld stimmen heraus. züge werden annonciert, verspätungen durchgesagt, reisende begrüßt und verabschiedet, an das nichtrauch-gebot wird erinnert. irgendwo plärrt kurz musik auf. eine große videowand mit unappetitlichen weltnachrichten. eine anzeigetafel ist defekt, die kleinen blätter mit buchstaben und zahlen in schwarz und rot laufen sinnlos und ohne anhalt durch und künden von allem und nichts.
es soll mir immer zeit bleiben, um durch den bahnhofsbuchladen zu schlendern, und dann doch, trotz vieler schwüre auf der ladenschwelle, ein oder zwei oder noch mehr bücher zu kaufen. und draußen immer einen kaffee, und einen croissant.
dann das warten auf den zug auf dem gleis. zeit, die potentiellen mitreisenden zu begutachten.
diesmal umarmen sich zwei junge männer, still, lange. es ist eine keusche umarmung: die arme um die schultern, wange an wange, aber sonst berühren sich die körper nicht. ich kann das gesicht des einen mannes sehen: die augen geschlossen, der ausdruck verträumt.
und obwohl die umarmung so keusch ist, nimmt ein alter mann anstoß. er trägt einen hellen filzhut mit grünem band, eine gefütterte jacke aus mircofaser, eine braune trevirahose, alte, aber gepflegte, geputzte schuhe. sein blick ist aggressiv, seine schmalen lippen blutleer, die weiße nase spitz. er sagt etwas hässliches über die beiden jungen männer zu seiner frau.
ärger steigt in mir hoch wie heißer mageninhalt. ich mache einen schritt auf ihn zu und sage laut: was ist dagegen zu sagen, wenn zwei sich mögen? wann haben eigentlich sie ihrer frau das letzte mal gesagt, dass sie sie lieb haben?
der mann schaut mich mit wässrigen, blassblauen augen an und sagt aggressiv: waass gehts sies daass waass aan?
ach, sage ich, sie meinen, jeder sollte sich um seine eigenen angelegenheiten kümmern?
die frau versteht eher als er, sie macht eine bewegung auf ihn zu und schaut mich grimmig an. reflexhafte solidarität, lange eingeübt.
zum glück kommt jetzt der zug, und sie sitzen auch nicht in meiner nähe.
die erste strecke an den see geht per ICE. ich genieße den luxus. der wagen ist ziemlich leer, es gibt keine interessanten leute weit und breit. zum rausgucken ist die fahrt zu schnell; willkommene gelegenheit zum lesen. kaum rollt der zug los, bekomme ich den bekannten reise-appetit; ich esse den croissant und die mitgenommen brote. und ich freu mich über den mann mit dem wägelchen und kauf ihm einen kaffee ab - der viel zu teuer ist. aber kaffee im zug ist ein ritual.
ab s. geht es weiter mit einem EC - eurocity, so übersetz ich mir das akronym.
der zug ist voll, und starrt vor dreck. ein platz in einem durchgehende wagon; rauch- und nichtraucher nicht durch türen getrennt, es stinkt.
die sitze durchgesessen, völlig verfleckt. ich schaue auf den boden und sehe, unter welchem zeitdruck die putzkolonne arbeiten muss. die gänge selbst werden offenbar hin- und wieder noch geputzt. aber unter den sitzen und besonders um die sitzsockel herum steinalter dreck, krümel, haare, papierschitzel und der schwarze zugdreck. wenn mir hier was runter fällt, muss es schon sehr wertvoll sein, damit ich es aufhebe. auch hier geht einer rum mit kaffee. der ist 50 cent billiger und wird in pappbechern mit papphenkeln ausgeschenkt.
mir gegenüber ein ganz junges paar, beide versunken in ihre getrennten ipod- und mp3-welten; er liest dazu, sie döst. zwischen ihrer hüftjeans und dem kurzen pullover schaut eine üppige handbreit gebräunte, gut fettunterpolsterte haut hervor. mir wird schon beim anblick kalt, und ich sehne mich nach langen unterhosen.
die letzte etappe ab a. dann in einer regionalbahn. hier les ich nichts, es gibt zuviel zu sehen.
der bahnhof von a. sieht aus wie DDR, 70er jahre. trostloses, verstaubtes grau. die kabelschächte unter den gleisüberdachungen sind mit gelblichen und grauen plastikplatten abgedeckt; es fehlen einige, was den trostlosen eindruck verstärkt.
ich habe gehört, dass a. eine sehr schöne altstadt haben soll. mit blick auf den bahnhof ist das kaum zu glauben.
der DDR-eindruck verstärkt sich bei ausfahrt aus dem bahnhof: kilometerlang eine hohe mauer aus grauen betonfertigteilen. die fluchttüren sind verblichen, die grundfarbe seltsam unklar. da, wo die mauer plötzlich endet, ein blick auf neubaugebiete. die häuser schon farbig, aber die schnitte eintönig und eng.
es geht durch eine winterlandschaft. im vorbeifahren blicke auf halsbrecherisch vereiste feldwege; auf einem müht sich ein alter mit ohrenmütz und gehtstock. überall ansitze für greife. ein rabenpaar in spektakulärem luftkampf. wenig schnee. die schwarze erde mit vereisten rillen und schollen, das sonnenlicht und die bewegung erzeugen reflexe darauf wie auf einem meer um die mittagszeit. feldscheunen, altpapiercontainer, große einzelne alte bäume auf wegkreuzungen. kleine wäldchen, ein gekrümmter fluss. die dörfer heißen schmiechen, steindorf, walleshausen. dazwischen, davor und dahinter zwerggarten-idyllen mit und ohne gehisster deutschlandfahne.
orangefarbene kugeln sichern überland-leitungen, ein flugplatz muss in der nähe sein.
und dann die haltestelle u. bin ich am see, steige aus, die sonne scheint, ich sehe meinen atem in der kälte, ein abendteuer wartet auf mich. ich gehe los, lächelnd, erwartungsvoll.
es soll mir immer zeit bleiben, um durch den bahnhofsbuchladen zu schlendern, und dann doch, trotz vieler schwüre auf der ladenschwelle, ein oder zwei oder noch mehr bücher zu kaufen. und draußen immer einen kaffee, und einen croissant.
dann das warten auf den zug auf dem gleis. zeit, die potentiellen mitreisenden zu begutachten.
diesmal umarmen sich zwei junge männer, still, lange. es ist eine keusche umarmung: die arme um die schultern, wange an wange, aber sonst berühren sich die körper nicht. ich kann das gesicht des einen mannes sehen: die augen geschlossen, der ausdruck verträumt.
und obwohl die umarmung so keusch ist, nimmt ein alter mann anstoß. er trägt einen hellen filzhut mit grünem band, eine gefütterte jacke aus mircofaser, eine braune trevirahose, alte, aber gepflegte, geputzte schuhe. sein blick ist aggressiv, seine schmalen lippen blutleer, die weiße nase spitz. er sagt etwas hässliches über die beiden jungen männer zu seiner frau.
ärger steigt in mir hoch wie heißer mageninhalt. ich mache einen schritt auf ihn zu und sage laut: was ist dagegen zu sagen, wenn zwei sich mögen? wann haben eigentlich sie ihrer frau das letzte mal gesagt, dass sie sie lieb haben?
der mann schaut mich mit wässrigen, blassblauen augen an und sagt aggressiv: waass gehts sies daass waass aan?
ach, sage ich, sie meinen, jeder sollte sich um seine eigenen angelegenheiten kümmern?
die frau versteht eher als er, sie macht eine bewegung auf ihn zu und schaut mich grimmig an. reflexhafte solidarität, lange eingeübt.
zum glück kommt jetzt der zug, und sie sitzen auch nicht in meiner nähe.
die erste strecke an den see geht per ICE. ich genieße den luxus. der wagen ist ziemlich leer, es gibt keine interessanten leute weit und breit. zum rausgucken ist die fahrt zu schnell; willkommene gelegenheit zum lesen. kaum rollt der zug los, bekomme ich den bekannten reise-appetit; ich esse den croissant und die mitgenommen brote. und ich freu mich über den mann mit dem wägelchen und kauf ihm einen kaffee ab - der viel zu teuer ist. aber kaffee im zug ist ein ritual.
ab s. geht es weiter mit einem EC - eurocity, so übersetz ich mir das akronym.
der zug ist voll, und starrt vor dreck. ein platz in einem durchgehende wagon; rauch- und nichtraucher nicht durch türen getrennt, es stinkt.
die sitze durchgesessen, völlig verfleckt. ich schaue auf den boden und sehe, unter welchem zeitdruck die putzkolonne arbeiten muss. die gänge selbst werden offenbar hin- und wieder noch geputzt. aber unter den sitzen und besonders um die sitzsockel herum steinalter dreck, krümel, haare, papierschitzel und der schwarze zugdreck. wenn mir hier was runter fällt, muss es schon sehr wertvoll sein, damit ich es aufhebe. auch hier geht einer rum mit kaffee. der ist 50 cent billiger und wird in pappbechern mit papphenkeln ausgeschenkt.
mir gegenüber ein ganz junges paar, beide versunken in ihre getrennten ipod- und mp3-welten; er liest dazu, sie döst. zwischen ihrer hüftjeans und dem kurzen pullover schaut eine üppige handbreit gebräunte, gut fettunterpolsterte haut hervor. mir wird schon beim anblick kalt, und ich sehne mich nach langen unterhosen.
die letzte etappe ab a. dann in einer regionalbahn. hier les ich nichts, es gibt zuviel zu sehen.
der bahnhof von a. sieht aus wie DDR, 70er jahre. trostloses, verstaubtes grau. die kabelschächte unter den gleisüberdachungen sind mit gelblichen und grauen plastikplatten abgedeckt; es fehlen einige, was den trostlosen eindruck verstärkt.
ich habe gehört, dass a. eine sehr schöne altstadt haben soll. mit blick auf den bahnhof ist das kaum zu glauben.
der DDR-eindruck verstärkt sich bei ausfahrt aus dem bahnhof: kilometerlang eine hohe mauer aus grauen betonfertigteilen. die fluchttüren sind verblichen, die grundfarbe seltsam unklar. da, wo die mauer plötzlich endet, ein blick auf neubaugebiete. die häuser schon farbig, aber die schnitte eintönig und eng.
es geht durch eine winterlandschaft. im vorbeifahren blicke auf halsbrecherisch vereiste feldwege; auf einem müht sich ein alter mit ohrenmütz und gehtstock. überall ansitze für greife. ein rabenpaar in spektakulärem luftkampf. wenig schnee. die schwarze erde mit vereisten rillen und schollen, das sonnenlicht und die bewegung erzeugen reflexe darauf wie auf einem meer um die mittagszeit. feldscheunen, altpapiercontainer, große einzelne alte bäume auf wegkreuzungen. kleine wäldchen, ein gekrümmter fluss. die dörfer heißen schmiechen, steindorf, walleshausen. dazwischen, davor und dahinter zwerggarten-idyllen mit und ohne gehisster deutschlandfahne.
orangefarbene kugeln sichern überland-leitungen, ein flugplatz muss in der nähe sein.
und dann die haltestelle u. bin ich am see, steige aus, die sonne scheint, ich sehe meinen atem in der kälte, ein abendteuer wartet auf mich. ich gehe los, lächelnd, erwartungsvoll.
... link | kopfherz @ 07.02.2006 | (0 Kommentare) ... comment
Auf dem Bahnhof steigt das Leben um

... link | grapf @ 07.02.2006 | (2 Kommentare) ... comment